Empfangen, löschen, weiterleiten, antworten (Schirn Mag)

Fake News, Filter­bla­sen und das bereits ausge­ru­fene post­fak­ti­sche Zeit­al­ter sind die Spitze eines Eisber­ges, der aus einer media­len Aufmerk­sam­keits­öko­no­mie und gesell­schaft­li­cher Spal­tung erwach­sen konnte. Der Dialog, gedacht als hete­ro­ge­ner Aushand­lungs­pro­zess, weicht zuneh­mend einem Rück­zug in homo­gene Gefilde. Neue Begriffe werden konsti­tu­iert, konno­tiert, instru­men­ta­li­siert.

Der Titel der dies­jäh­ri­gen, vier­tei­li­gen Ausstel­lungs­se­rie „Subject:Fwd:Unknown“ im Ausstel­lungs­raum fffried­rich führt bereits in die Thema­tik ein: Mit der Digi­ta­li­sie­rung verän­dert sich unsere Kommu­ni­ka­tion und mit ihr auch der öffent­li­che Diskurs.Dieser Entwick­lung setzt ein Team aus 16 Studie­ren­den und ange­hen­den Kura­to­rIn­nen der Städel­schule ein Konzept entge­gen, das einer offe­nen Gesprächs­si­tua­tion gleicht und die Spra­che als kultu­rel­les Konstrukt reflek­tiert. Die vier Künst­le­rIn­nen Michal Heiman (geb. in Tel Aviv), Nora Turato (geb. 1991 in Zagreb, Kroa­tien), Tim Etchells (geb. 1962 in Steve­nage, Groß­bri­tan­nien) und Yutie Lee (geb. 1988 in Taipeh, Taiwan) werfen in ihrer Praxis auf unter­schied­li­che Weise Fragen nach den Gren­zen von Spra­che und Kommu­ni­ka­tion auf. 

Die Nähe des Studi­en­pro­gramms zum Porti­kus schlägt sich dabei durch. Denn wie in der Ausstel­lung „#215“, die seit Novem­ber im Porti­kus zu sehen ist, wurden auch im fffried­rich die Künst­le­rIn­nen dazu aufge­for­dert, konzep­tu­ell aufein­an­der zu reagie­ren, Impulse auszu­tau­schen und in einen Dialog zu treten. So tritt an die Stelle des Mono­logs einer einzel­nen künst­le­ri­schen Posi­tion eine dialo­gi­sche Struk­tur und Mehr­stim­mig­keit, die dem Betrach­ter eine Viel­falt an poten­ti­el­len Erfah­run­gen und Bedeu­tun­gen ermög­licht. 

Michal Heiman eröff­nete die Ausstel­lungs­se­rie im Okto­ber mit Foto­gra­fien, einer Video­ar­beit sowie einem Perso­nal History Mapping (PHM-)Test. Funda­ment ihrer Arbeit bildet das Porträt einer Sana­to­rium-Insas­sin von 1855. Die Klei­dung und Darstel­lung der Insas­sin griff Heiman auf und über­führte sie mittels multi­pler Nach­emp­fin­dung in die Gegen­wart. Indem der PHM-Test die Besu­cher zur Nach­for­schung ihres eige­nen Stamm­baum veran­lasste, provo­zierte sie ein zeit­li­ches Vakuum, das die Grenze zwischen Vergan­ge­nem und Gegen­wär­ti­gem verschwim­men ließ. Die Möglich­keit einer Kommu­ni­ka­tion zwischen verschie­de­nen Gene­ra­tio­nen stand hier im Vorder­grund und rief Fragen nach einem kollek­ti­ven (Schmerz)Gedächt­nis hervor.

Heimans Blick in die Vergan­gen­heit setzte Nora Turato anschlie­ßend eine zeit­ge­nös­si­sche Gesell­schafts­ana­lyse entge­gen. Ihre Perfor­man­ces sind Colla­gen unse­rer digi­ta­len, wie analo­gen Sprach­welt. Indem sie Frag­mente allge­gen­wär­ti­ger Kommu­ni­ka­tion aus Social Media Kanä­len, Nach­rich­ten­por­ta­len, Lite­ra­tur und Gesprä­chen sammelt, diese anschlie­ßend re-kontextua­li­siert und perfor­ma­tiv zu einem neuen Sprach­ge­bilde zusam­men­fügt, führt sie die Kontin­genz der Spra­che und ihres Inhal­tes vor Augen. Ihr Slam-arti­ger Sing­sang, der sich weder auf Mono­log noch Dialog fest­le­gen wollte, hinter­ließ in Kombi­na­tion mit den graphi­schen Postern Tura­tos einen zyni­schen Blick auf die mediale Aufmerk­sam­keits­öko­no­mie und deren Auswir­kun­gen auf die Iden­ti­täts­kon­struk­tion der so genann­ten post­mo­der­nen Gene­ra­tion im 21. Jahr­hun­dert.

Weni­ger ambi­va­lent und tragisch, aber mit ebenso star­kem Nach­druck forderte anschlie­ßend Tim Etchells bis zum 25. Novem­ber dazu auf, uns den Schlaf rauben zu lassen. Während er in seiner Sound­in­stal­la­tion auf eindring­li­che Weise den Satz „nothing to lose sleep over“ durch rheto­ri­sche Pausen, Verset­zun­gen und Beto­nun­gen gleich­sam dekon­stru­iert wie dechif­friert, arti­ku­lierte seine graphi­sche Schrift­ar­beit im Fens­ter des fffried­richs paral­lel das Gegen­teil: „some­thing to lose sleep over“.

Wie auch bei Heiman und Turato, entstand bei Etchells ein Grenz­raum, eine Schwelle, ein Dazwi­schen, das jede schein­bare Eindeu­tig­keit der Spra­che irri­tiert. Das bewusste Hervor­ru­fen von Mehr­deu­tig­kei­ten ermög­licht den Betrach­tern impli­zite Normen und Struk­tu­ren der Spra­che zu beob­ach­ten, zu hinter­fra­gen und eigene Werte zu reflek­tie­ren. Und mit dieser Öffnung für neue Perspek­ti­ven, werden wir, als Publi­kum, ganz auto­ma­tisch Teil dieser Gesprächs­si­tua­tion.

Vom 30. Novem­ber bis zum 09. Dezem­ber gibt abschlie­ßend Yutie Lee Ein- und Ausbli­cke in die seman­ti­sche Varia­bi­li­tät von Spra­chen bieten. Die Künst­le­rin webt in ihrer Arbeit ein dich­tes Netz aus euro­päi­scher und ostasia­ti­scher Zeit­ge­schichte, das sich gleich­sam aus histo­ri­schen Quel­len und Fiktion speist. Alter­tüm­li­che Schrif­ten, Lite­ra­tur und zeit­ge­nös­si­sche Popkul­tur bieten sich als histo­ri­sche Zeugen an, kreieren neue kultu­relle Narra­tive, und hinter­fra­gen zugleich konven­tio­nelle Geschichts­schrei­bun­gen.

Gegrün­det in Koope­ra­tion mit der Goethe Univer­si­tät, bietet das fffried­rich neben tempo­rä­ren Projek­ten einen Raum und eine Spiel­stätte für die Jahr­gangs-Ausstel­lun­gen des Master­stu­di­en­gangs Cura­to­rial Studies an der Städel­schule. 

Veröffentlich im Schirn Mag, 28.11.2018