Zentrum für Politische Schönheit: Die Kunst, keine Kunst zu sein (ZEIT ONLINE)

Ein spärliches Gerüst, Kerzen und Blumen. Ein Transparent mit der Aufschrift „Gedenken heißt Kämpfen“ und eine Grabplatte, die in den Boden eingelassen wurde. „Hier liegt die deutsche Diktatur im Frieden“, steht auf ihr. Doch das ist nur die Kulisse.

Im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit prangt die etwas übermannshohe metallene Stele, die in ihrer verglasten Mitte eine kupferfarben illuminierte Masse zur Schau stellt: angeblich die Asche von Opfern der Schoah. Sie soll daran erinnern, dass 1933 genau an dieser Stelle, in der ehemaligen Krolloper nahe dem Berliner Reichstagsgebäude, das Ermächtigungsgesetz beschlossen wurde, das den Nationalsozialisten die uneingeschränkte Macht verlieh und den Holocaust erst ermöglichte.

Diese “ Gedenkstätte gegen den Verrat an der Demokratie“ ist nicht das erste Mahnmal, das das Zentrum für Politische Schönheit ins Grüne pflanzt. Zuletzt wurde gegen das Kollektiv wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt, als es Björn Höcke kurzerhand eine Replikation des Holocaust-Mahnmahls auf das Nachbargrundstück baute. In avantgardistischem Gestus erklären sich die Mitglieder des Zentrums zur „Sturmtruppe der moralischen Schönheit und politischer Poesie“, und testen aus, wie weit sie mit ihren Aktionen des „aggressiven Humanismus“ gehen können.

Das Zentrum für Politische Schönheit ist damit eine wesentliche Protagonistin der politisch und sozial engagierten Gegenwartskunst in Deutschland. Kunst, so deren zentrale Behauptung, ist eine Form der politischen Praxis. Sie zeigt soziales Engagement, politischen Aktivismus und fordert Mitspracherecht in der politischen Realität unserer Gesellschaften und Ökonomien. Das irritiert, hat aber Tradition. Der Wille, Kunst und Gesellschaft zu vereinen, findet Vorläufer in den Sechziger- und Siebzigerjahren, bei den Situationisten, im Fluxus und vor allem bei Joseph Beuys, der den Begriff der sozialen Plastik prägte.

Doch während Joseph Beuys sich als Künstlerfigur mystifizieren und glorifizieren ließ, engagieren sich zeitgenössische Künstlerinnen, wie auch im Zentrum, häufig in Kollektiven. Ihr Ziel ist es nicht, ein neues Gesellschaftsbild zu lehren und zu diskutieren. Vielmehr wollen sie direkt in die soziale Welt eingreifen. Es soll nicht mehr um Kontemplation im Museum gehen, sondern um unmittelbare Transformation der Gesellschaft, an einzelnen Orten und darüber hinaus. Ein Selbstverständnis, das das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft durchaus noch einmal neu definiert. Denn künstlerischer Aktivismus dieser Art weigert sich nicht nur, Teil des luxuriösen Kunstbetriebs zu sein und sich den Preismechanismen des Kunstmarkts zu beugen. Er hinterfragt auch Konzepte von Autorschaft und Individualismus und übt damit Kritik an der Logik des kapitalistischen Systems allgemein.

Gleichzeitig gilt: Wenn die autonomiebehauptende Kunst früherer und auch heutiger Zeiten mindestens über ihren Verkaufswert immer Zwängen der Gesellschaft unterworfen war, dann ist es derartig intervenierende Kunst in gleichem Maße – wenn auch in komplett anderer Form. Die Zweischneidigkeit ihres gesellschaftlichen Wirkens zeigt sich schon darin, dass ihr Umgang mit Missständen den wirklich Verantwortlichen zuvorkommt und sie dadurch aus der Pflicht nimmt. Kurz gesagt: Wenn das Zentrum für Politische Schönheit Björn Höcke auf die Pelle rückt, entlastet die Diskussion darum die Zivilgesellschaft vor Ort von dem Anspruch, sich selbst mit starken Zeichen gegen den Faschisten in ihrer Mitte zu positionieren. Zudem entspricht die Handlungsstrategie, selbst aktiv zu werden, um einen Zustand zu verbessern, den Handlungsweisen des digitalen Kapitalismus.

Wer immer neue Räume schafft, Organisationen gründet und Projekte lanciert, entlastet somit auch den Staat, der sonst vielleicht für seinen eigenen Schutz verantwortlich wäre.

Darüber hinaus geht aktivistische Kunst auf eine Weise vor, die uns nur allzu gut aus den sozialen Medien und ihren Aufmerksamkeitsökonomien bekannt ist. Sie wirbt mit dem Spektakel, mit einer Eventkultur und mit Schockerfahrungen. Sie weiß geschickt, einen medialen Diskurs zu entfachen und ihn durch professionell inszenierte Bildzirkulation zu unterstützen.

Künstlerkollektive wie das Zentrum für Politische Schönheit fügen sich so in die herrschenden Strukturen perfekt ein. Sie besetzen dabei bewusst die Grenze zwischen künstlerischem und politischem Aktivismus und eröffnen damit einen Möglichkeitsraum, in dem sie Kritik und Ästhetik und damit das Verständnis von Kunst und Protest neu verhandeln oder: für sich definieren können.

Veröffentlicht bei Zeit Online, 07.12.2019