Seit Jahren windet sich die Theaterszene um inklusive Ansätze. „Ich bin’s Frank“ an den Münchner Kammerspielen geht einen Schritt voraus.
Frank glüht. Er blitzt, schimmert. Eingehüllt in glitzernden Tüll dreht er seine Pirouetten, streckt sich einer leeren Nacht entgegen, voller Glamour, voller Potential. Frank lacht, tanzt, flirtet, liebt. Er lässt das Leben bis in die letzte Pore seines Körpers fließen. Löst sich auf, um sich wieder zu finden.
Makroaufnahmen von Schaumblasen werden auf das Gesicht von Julia Häusermann projiziert. Immer wieder zapft die Schauspielerin sich ein Glas Wasser aus dem Felsen, der aus der Bühne der Münchenr Kammerspiele emporragt, hält kurz inne, bevor sie Frank wieder neu gestaltet. Julia Häusermann ist Frank. Jedenfalls wenn sie auf der Bühne steht. Denn Frank, wie Frank Lewinsky – eine Figur der deutschen Adels-Seifenoper, versammelt die Facetten ihres Selbst.
Die 30-jährige Schauspielerin aus Zürich nimmt das Publikum mit auf eine sehr direkte, einstündige Reise in die Landschaft deutscher Schlagerkultur, internationaler Popgrößen, ausrangierter Vorabend-Fernsehserien. Vor allem aber führt sie die Zuschauer ein, in die Möglichkeiten ihres Daseins. Die Schauspielerin mit Trisomie-21 gibt sich Preis. Wütend stopft sie ihr Abbild in ein Loch. Häusermann liegt am Boden, weint echte Tränen.
Das Stück „Ich bin’s Frank“ ist ein ganzes Leben in 50 Minuten. In Zusammenarbeit mit Nele Jahnke, Regisseurin an den Münchner Kammerspielen, und dem Züricher Theater Hora, hat Julia Häusermann einen Körper ohne Ort kreiert. „Als Sturm geboren, falsch geboren, missgeboren, irre. Zu Großem geboren“, sampelt Häusermann, und lässt das Publikum gezielt aus der Heiterkeit in die existenzielle Debatte fallen.
Sie weiß um ihr Talent. 2013 hat sie den Alfred-Kerr-Darstellerpreis für die beste Nachwuchsspielerin des Berliner Theatertreffens gewonnen und wurde in New York für den Bessie Award nominiert. Mit ihrem Ensemble des Hora Theaters trat sie in Seoul, den USA und Europa auf. Häusermann wird gefeiert. Aber sie weiß auch, dass sie ein Einzelfall ist.
Inklusion nicht nur als Theorie
Inklusives Theater möchte das ändern. Personen mit kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen sollen nicht nur in die Vermittlungsarbeit eingebunden werden, sondern auch als Schauspieler:innen, Regisseur:innen und Autor:innen mitwirken. Ein Ansatz, der zum zeitgenössischen Diskurs um Diversität passt. Seit Jahren windet die Theaterszene sich um inklusive Ansätze, mehr Vielfalt und Spiel auf Augenhöhe.
Julia Häusermann fordert diese höflichen Bestrebungen mit ihrer Inszenierung nun endlich ein. Sie überführt den guten Willen aus der Theorie in die Praxis. Frank passt in keine Kategorie. Vielmehr noch, er soll sie sprengen. Das steht den Münchner Kammerspielen gut.
Das 2020 frisch angetretene Team um die Intendantin Barbara Mundel traut sich, das Theater nicht nur mit zeitgemäßen Sagen zu umweben, sondern die Bühne tatsächlich zeitgemäß zu bespielen. Die kühl und professionell inszenierten Videoprojektionen der Bühnenbildnerin Sabina Winkler, Pop, Schlager und Textfragmente ergeben ein gekonntes Zusammenspiel, das eben nicht Entitäten produziert, sondern Dinge nebeneinander anordnet und sie somit gleichstellt.
Körper ohne Ort
„How many yous will you carry? Weeping and desperate to marry?“, fragt immer wieder die britische Rap- und Lyrik Ikone Kae Tempest aus dem Off. Die Stimme der Gender-Aktivist:in verdeutlicht die Tragweite des Prinzips.
Frank kann zu einem Körper ohne Ort werden, ohne das Theater zu einem Ort ohne Körper verkommen zu lassen. Julia Häusermann muss sich nicht selbst vergessen, um auf der Bühne zu stehen. Im Gegenteil: Sie darf alles gleichzeitig sein. Auf diese Weise gelingt es der Inszenierung hinzuschauen, Julia Häusermann anzuschauen.
„Ich bin’s Frank“ ist eine Begegnung. Mit Julia Häusermann im Speziellen und dem Menschlichen im Allgemeinen. Freude, Trauer, Mut und Scham laufen ineinander über und zeichnen Versionen des Selbst, die jeder in sich trägt und kennt.
Veröffentlicht im Tagesspiegel, 08.02.2022